Vorsicht vor Minusstunden

In der Gastro­ und Hotelleriebranche ist die Auslastung sehr volatil und

die Einsatzplanung für die Mitarbeitenden eine besondere Herausforderung. Die Gesetzgebung nimmt jedoch wenig Rücksicht auf die Besonderheiten

der Branche. Viele Arbeitgebende sind sich dessen zu wenig bewusst. Die Folge: Es können phasenweise Minusstunden entstehen. Entgegen der verbreiteten Ansicht müssen diese nur in bestimmten Fällen nachgearbeitet werden.

Martin Schwegler


Martin Schwegler, lic. iur. / RA

Der Autor dieses Beitrags ist seit 1994 Dozent für Arbeitsrecht an der SHL Schweizerische Hotelfachschule Luzern. Hauptberuflich ist er in der von ihm gegründeten Anwaltskanzlei Schwegler & Partner Rechtsanwälte und Notare AG in Menznau (LU) tätig. 2020 hat er die correct.ch ag gegründet, die arbeits -rechtliche Dienstleistungen für die Hotel- und Gastrobranche anbietet. Ein Produkt der Firma istcorrectTime, eine Zeiterfassung, die nach L-GAV und ArG korrekt rechnet.




Der Art. 324 OR ist Jahrzehnte alt. Er ist übertitelt mit «Annahmeverzug des Arbeitgebers» und lautet ver­kürzt: «Kommt der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, so bleibt er zur Entrichtung des Lohnes ver ­pflichtet, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleis­tung verpflichtet ist.» Die rechtliche Wirkung dieser Bestimmung führt dazu, dass, wenn Mitarbeitende mangels Auslastung früher Feierabend als ge plant machen, der Arbeitgeber die geplanten Stunden even­tuell doch bezahlen muss. Aber der Reihe nach.


Die Arbeitsplanung ist massgebend

Gemäss Art. 21 L­GAV muss der Arbeitsplan norma­lerweise für zwei Wochen im Voraus für zwei Wochen erstellt werden. Das bedeutet, dass beispielsweise Ende der Woche 14 der Arbeitsplan für die Wochen 17 und 18 stehen muss. In Saisonbetrieben muss der Plan eine Woche im Voraus erstellt werden, also Ende Woche 14 für die Woche 16. Weil man vieles nicht vor­aussehen kann, tendiert man dazu, die Mitarbeiten­den eher grosszügig einzuplanen. Damit beginnen die Probleme.


Schickt man Mitarbeitende entgegen der Planung früher nach Hause, entstehen genau Situationen, auf welche Art. 324 OR abzielt. Mit dem Ergebnis, dass diese Minusstunden nicht nachgearbeitet werden müssten und trotzdem Lohn geschuldet wäre.Den Konjunktiv verwende ich, weil sich nicht nur die Arbeit geberseite der Problematik nicht bewusst ist, sondern auch viele Mitarbeitende es nicht als un­ gerecht empfinden, wenn sie frühere Minusstunden später nacharbeiten müssen. Entsprechend gibt es deswegen wenig Diskussionen. Trotzdem sind Vor­gesetzte gut beraten, wenn sie sich der Konstellation bewusst sind.


Geplante Minusstunden sind unproblematisch

Nur die ungeplanten Minusstunden sind ein Problem. Planen die Vorgesetzten hingegen die Mitarbeitenden «ins Minus», ist das unproblematisch. Denn nach Art. 15 L­GAV muss nicht jede Woche genau die Wochensollzeit von 42 beziehungsweise 43,5 oder 45 Stunden gearbeitet werden, sondern nur im Durch­schnitt. Logischerweise darf man Mitarbeitende auch mal bloss beispielsweise 35 Stunden in einer Woche einplanen. Die so entstandenen Minusstunden darf man kompensieren, indem später mehr als die wöchentliche Sollarbeitszeit gearbeitet wird. So komisch es erscheinen mag: Im Ergebnis macht nur die Planung den Unterschied aus.


Früher entstandene Überstunden kompensieren spätere Minusstunden

Weiter ist es so, dass nach Art. 321c OR Mitarbeitende im Grundsatz zur Leistung von Überstunden ver­pflichtet sind. Überstunden wiederum dürfen jeder­zeit nach Weisung des Arbeitgebers kompensiert werden. Lässt man die Mitarbeitenden am Anfang eines Anstellungsverhältnisses eher Überstunden arbeiten, kann man jederzeit Mitarbeitende – ent­gegen der Planung – zu Hause lassen und sie damit Überstunden kompensieren lassen. Die Vorgesetzten sind also gut beraten, Mitarbeitende am Anfang des Anstellungsverhältnisses möglichst Überstunden arbeiten zu lassen. Denn dadurch gewinnen sie Flexibilität, weil sie Überstunden jederzeit abbauen lassen können, ohne dass die betroffenen Mitarbei­tenden gefragt werden müssen.


Minusstunden am Ende des Anstellungs-verhältnisses zahlt der Arbeitgeber

In der juristischen Praxis ist man hie und da mit der Situation konfrontiert, dass Arbeitgebende meinen, sie könnten am Ende des Anstellungsverhältnisses Minusstunden beispielsweise mit Ferien­ oder Feier­tagsguthaben kompensieren. Diese Sichtweise ist falsch. Zumindest so lange, wie die Minusstunden nicht auf Wunsch des Mitarbeiters entstanden sind.


Weil Mitarbeitende manchmal wegen Krankheit oder Unfall frühzeitig ausscheiden und die Nacharbeitung der geplanten Minusstunden dann nicht mehr mög­lich ist, gilt eigentlich generell die Regel: Mit arbeitende sollten, wenn immer möglich, nicht ins Minus geraten. Bevor man also die Teilzeitmitarbeitenden im Stun­denlohn einsetzt, sollte man schauen, dass die Festan­gestellten keine Minusstunden auf dem Konto haben. Nochmals sei darauf hingewiesen: Kluge Planung ver­meidet höhere Personalkosten.

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