Die Berliner Schnauze und ihre Helden auf dem Teller

Weltenbummlerin Michéle Müller hat das berufliche Glück in Engelberg gefunden. Im «Kempinski Palace Engelberg» leistete sie Aufbauarbeit. Nun trägt die talentierte Köchin die gesamte Verantwortung für Kulinarik und Gastronomie.

Wenn Michéle Müller im Winter-garden die Gäste beobachtet, die beim Afternoon Tea die kleinen Leckereien von der Etagère auf den Teller schaufeln, dann hüpft ihr Herz: «Ich freue mich über das hübsche Service und bin ein wenig stolz, es mit ausgesucht zu haben.»

Michéle Müller hatte nicht lange gezögert, als Anfang 2021 die Anfrage vom «Kempinski Palace Engelberg» eintraf. Sie arbeitete gerade als Executive Sous-Chefin im Hotel Adlon Kempinski am Pariser Platz in Berlin. Ihre Familie war glücklich, die Weltenbummlerin wieder regelmässig in die Arme schliessen zu können. Zuvor hatte Müller unter anderem in Italien, Irland, Qatar und den Vereinigten Arabischen Emiraten am Herd gestanden. Und in der Schweiz: «Ich wollte unbedingt wieder zurück. Ich hatte ja früher schon in Pontresina und Saas-Fee gearbeitet», ergänzt die 42-jährige.

Neu in übergeordneter Rolle
Was sie an der Aufgabe im einzigen Luxushotel in Engelberg fasziniert: «Ich durfte einen Betrieb mitaufbauen und -einrichten. Jeden Topf, jede Pfanne habe ich selber ausgewählt und meine Küchencrew zusammengestellt.» Seit kurzem bekleidet die Berlinerin die übergeordnete Rolle mit dem etwas umständlichen Titel Director of Food & Beverage in charge of Culinary Operations. «Die neue Aufgabe mit der Verantwortung für die gesamte Gastronomie, den Service und die kulinarische Ausrichtung bedeutet viel Büroarbeit und Planung. Aber es macht grossen Spass.»

Müller war eine der raren weiblichen Executive Chefs in Schweizer Nobelherbergen. «Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich bin es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen und freue mich über die Anerkennung», so die Deutsche, die sich als sehr anpassungsfähig beschreibt: «Ich bin in meiner bisherigen Karriere zumindest geografisch zwischen den Extremen gependelt, vom Schnee in die Wüste, und nun zurück zum Schnee.»

Viele ihrer Mitarbeitenden sind seit dem Start in Engelberg dabei. Das spricht für die Ambiance in der Küche des im Juni 2021 eröffneten «Kempinski Palace Engelberg». Obwohl sie jetzt viel weniger an der Front stehe, dulde sie den rauhen Umgangston nicht, der oft in männlich dominierten Brigaden herrsche. «Darauf weise ich neue Mitarbeiter hin», sagt Müller. «Aber als Berliner Schnauze bin ich in der Küche eine Freundin kurzer Sätze und klarer Ansagen.»

Gerne die Eltern überrascht
Warum wurde aus Michéle eine Köchin? «Ich habe schon in jüngsten Jahren gerne gekocht und Kuchen gebacken. Wenn meine Eltern vom Spaziergang zurückkehrten, haben meine Schwester und ich sie mit einer leckeren Mahlzeit überrascht.»

Nach der Lehre bei einem grossen Caterer in Berlin zog es sie zum ersten Mal in die Schweiz. Im «Kronenhof» in Pontresina arbeitete Michéle Müller sich bis zur Patisserie-Chefin hoch. Mittlerweile hat sie Fertigkeit und Talent auf sämtlichen Küchenstationen und in diversen Ländern bewiesen. «Aber nirgends habe ich eine so intensive Wertschätzung für das Produkt und das Handwerk in der Küche gespürt wie in der Schweiz», lobt sie. Das passe exakt zur persönlichen Philosophie. «Die Produkte sind die Helden auf dem Teller. In unserem Haus soll man mit den Gerichten nahe an den Menschen sein und nicht zu kompliziert kochen.» Müller präzisiert: «Selbstverständlich sollen die Teller toll aussehen. Aber fünfzehn Schritte bis zur Vollendung sind einfach zu viel des Guten.» 

Brasserie im «Cattani»
Kürzlich hat man im Vorzeigerestaurant Cattani ein Brasseriekonzept eingeführt. «Wir wollen den inter-nen und externen Gästen die Schwellenangst nehmen und sie zu regelmässigen Besuchen animieren», begründet Michéle Müller den Kurswechsel, der das kulinarische Flair der Grande Nation nach Obwalden bringt. Auf der Karte stehen Klassiker wie Terrine de veau et volaille oder Carré d’agneau. An der Qualität der Produkte ändert sich nichts. Michéle Müller und ihre fünfzigköpfige Crew zählen auf das Netzwerk, das in den letzten Jahren aufgebaut wurde, auf innovative und engagierte Lieferanten und Produzenten, wie den Ziegenkäsehersteller Toni Odermatt aus Stans.

Die überschaubaren Schweizer Entfernungen schätzt Michéle Müller auch in der raren Freizeit. «Natürlich geniesse ich die Natur in Engelberg, aber manchmal brauche ich eine kleine Auszeit und fahre zum Shoppen nach Luzern oder Zürich.» Der Beruf und die neue, noch anspruchsvollere Rolle im «Kempinski Palace Engelberg» seien fordernd: «Dieses Pensum schafft man nur, wenn man die Arbeit liebt und mit Begeisterung dabei ist.»

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